Dieses für die europäische Aufklärung und Ideengeschichte zentrale Werk, das 1740 bereits in 8.Auflage in vier voluminösen Foliobänden vorlag, führte in der deutschen Aufklärungsforschung ein Schattendasein. Das lag in erster Linie daran, daß bislang keine erschwingliche Ausgabe auf dem Buchmarkt greifbar war. Die Attraktion, die Bayles Wörterbuch auf die zeitgenössischen Leser ausübte, beruht in erster Linie auf dem skeptischen Geist, der das ganze Werk durchzieht. Bayle unterzieht Philosophie und Theologie, aber auch alle anderen Disziplinen hinsichtlich ihrer Methoden, Gegenstände und Ergebnisse einer kritischen Revision. Dieser aus dem Wörterbuch sprechende Geist einer nüchternen Rationalität traf den Geist und das Lebensgefühl des 18.Jahrhunderts, das sich nach Kants Worten nur dem verpflichtet fühlte, was vor dem "Richterstuhl der Vernunft" legitimiert worden war.
Bayle steht am Anfang dieser Entwicklung und pocht unbeirrbar auf die Rechte der Vernunft, die sich für ihn in einer vorurteilsfreien Prüfung des überlieferten Wissenstandes manifestieren. Ein Resultat dieses Ansatzes ist die Forderung von Toleranz. Aus den mehr als 2000 Artikeln des Wörterbuchs sind die philosophisch bedeutendsten Artikel (gut 30 an der Zahl) ausgewählt und übersetzt worden. Dabei ist das Wort "philosophisch" in einem weiteren Sinne zu verstehen als heute üblich. Bayle faßt darunter den Gesamtbereich des rationalen Wissens.
Deshalb fällt dieses Wörterbuch nicht, wie der Titel nahelegen könnte, bloß in den Bereich der Geschichte oder der Philosophie im engeren Sinne, sondern umfaßt die heute sogenannten Geisteswissenschaften in toto. Bayles Wörterbuch ist somit unserem heutigen Sprachgebrauch nach interdisziplinär angelegt und auch für die geisteswissenschaftlichen Fächer neben Philosophie und Geschichte von immenser Bedeutung.
InhaltV
VorwortVII
EinleitungIX
Zur vorliegenden AusgabeLVII
BibliographieLXIX
Pierre Bayle: Historisches und kritisches WörterbuchLXXXIII
Pierre Bayle wird 1647 in Südfrankreich geboren. Seine Ausbildung erhält der Sohn eines hugenottischen Pfarrers zunächst an der protestantischen Akademie von Puylaurens, wechselt dann aber zum Jesuiten-Kolleg von Toulouse und konvertiert zum Katholizismus. Nach kurzer Zeit bereut er seine Konversion, flüchtet als Renegat ins Ausland und erhält schließlich 1681 in Rotterdam eine Professur für Philosophie und Geschichte. Nach der Aufhebung des Toleranz-Edikts 1685 reagiert Bayle mit kritischen Schriften, in denen er für Glaubensfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche eintritt. Auf Grund seines rationalen Kritizismus’ und der freizügigen Haltung auch Atheisten gegenüber, verliert Bayle 1693 seine Professur und widmet sich fortan ganz seinem großen philosophischen Projekt des Historischen und kritischen Wörterbuchs, das 1695 erscheint. In diesem völlig neuartigen Nachschlagewerk versucht er einerseits das Wissen der Zeit kritisch zusammenzufassen und trägt andererseits in Anmerkungen seine eigenen Überlegungen vor. In Fußnoten werden ausführliche Quellen zitiert, die oft völlig unterschiedliche Standpunkte formulieren. Diese Taktik soll den Leser zum kritischen Hinterfragen der Tatbestände führen. Das Wörterbuch erlebt bis 1760 allein 10 Auflagen und wird zur „Rüstkammer der Aufklärung“ (Wilhelm Dilthey). Diesen Ruhm erlebt Bayle jedoch nicht mehr – bis zu seinem Tod 1706 ist er hauptsächlich mit Verteidigungsschriften gegen die Angriffe dogmatischer Theologen auf sein Wörterbuch befaßt.
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