Mit Marx

12 zum Teil scholastische Versuche zur Kritik der politischen Ökonomie
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  • Verlag: ça-ira-Verlag
  • 07.09.2022
  • Buch
  • 448 Seiten
  • Softcover
  • ISBN: 978-3-86259-185-5
  • AutorInnen: Gerhard Scheit
  • Buchtitel: Mit Marx
  • Untertitel: 12 zum Teil scholastische Versuche zur Kritik der politischen Ökonomie
  • ISBN: 978-3-86259-185-5
  • Verlag: ça-ira-Verlag
  • Produktart: Buch
  • Seiten: 448
  • Erscheinung: 07.09.2022
  • Einband: Softcover
  • Format: 140 x 208 mm

Horkheimer hatte 1946 das Gespräch mit Adorno über eine mögliche Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit an der Dialektik der Aufklärung mit der Frage beendet: »Wieweit hat man an der Selbsterhaltung teilzunehmen und wieweit ist sie Wahnsinn?« Es ist die Frage, wie nach Auschwitz die Kritik der politischen Ökonomie als »Existentialurteil« zu entfalten wäre.

Marx war es noch möglich gewesen, das Wahnhafte in ironischer und religionskritischer Anspielung auf den Universalienstreit aufzulösen. Mit der Apokalypse des Johannes erläutert er nach der Wertformanalyse im Kapital die »gesellschaftliche Aktion der Waren«, die eine Ware zum allgemeinen Äquivalent macht: als wären sie die zehn Herrscher, die einem »Tier« ihre »Kraft und Macht« übergeben, sodass »niemand kaufen oder verkaufen« könne, wenn er nicht »das Zeichen oder den Namen des Tiers« habe oder die »Zahl seines Namens«. Das Tier muss jedenfalls für die Gesellschaft wie ein Universale für den Universalienrealisten wirklich existieren, aber Waren sind keine mythologischen Könige, die es zu diesem Zweck dickfüttern könnten – und Marx erweist sich genau hier als ein Universalienrealist wider Willen, darin der Logik des Abaelard intuitiv vielleicht ebenso verbunden wie der negativen Theologie des Judentums.

Dieser ›Wille‹ ist zwar unmittelbar aus der frühen junghegelianischen Kritik am Staat hervorgegangen, über dessen Funktion vermag aber erst die Kritik der politischen Ökonomie Entscheidendes beizutragen: dem fortdauernden Gewaltverhältnis zwischen den Staaten entsprungen muss der Souverän beständig dafür sorgen, dass Geld nicht nur als Tauschmittel fungiert, sondern eben darin zugleich das Maß für eine durchschnittlich notwendige Zeit zur Produktion dessen, was getauscht wird, anerkannt wird; dass mit dem Geld also der Gegensatz zwischen den je konkreten lebendigen »Privatarbeiten«, die nur nominalistisch einander gegenübergestellt werden können, und der abstrakten universal gesellschaftlichen Arbeit, »Arbeit sans phrase«, als aufgehoben erscheint. Das ist die im Tausch bejahte Voraussetzung – »Sie wissen das nicht, aber sie tun es« – für die unendliche Verhandlung über einen ›gerechten Lohn‹. Und solche Gerechtigkeit wird entweder im Hinblick auf die Souveränität des einzelnen Staats oder auf den die Nationalökonomien umspannenden Weltmarkt eingeklagt (zum einen tun sich dabei – um die entsprechenden Schlagworte zu verwenden – die ›Souveränisten‹ oder Nationalisten, zum anderen die diesen so verhassten ›Globalisten‹ oder Neoliberalen hervor). Aus ihrem inneren Zusammenhang, den Marx als Modifizierung des Wertgesetzes aufgedeckt hat, ergibt sich jedoch: keine Souveränität ohne Weltmarkt, kein Weltmarkt ohne Souveränität.

All das fasst die Negative Dialektik beinahe en passant in der »Maßkategorie der Vergleichbarkeit« zusammen: sie ist es tatsächlich, die Nationalökonomie und Weltmarkt stets vermittelt und zugleich in die Krise treibt, unwahr allein dadurch, dass bei ihrer Geltung Hunger kein hinreichendes Motiv für Produktion sein kann. Tilgte man sie aber blindlings – wie allenthalben unter dem Banner der Autarkiepolitik, der das Zerbrechen des Weltmarkts (wieder einmal) gerade recht käme –, setzten sich aufs Neue anstelle der »Rationalität, die noch als Versprechen dem Tauschprinzip innewohnt«, unmittelbare Aneignung, Gewalt und Vernichtungswahn ungehemmt durch. Und letzterer zielt mit der ihm eigenen Logik auf die Juden, insbesondere auf deren Souveränität in Israel.

Wahre Kritik am Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens hingegen will, »daß das Ideal freien und gerechten Tauschs, bis heute bloß Vorwand, verwirklicht werde«, so Adorno – oder wie es in der Kritik des Gothaer Programms heißt: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!« Das schlechthin Unvernünftige, das darin besteht, den inneren Sinn der Zeit zum äußeren der gesellschaftlichen Synthesis zu machen und darauf die Messbarkeit des substantiell Verschiedenen zu begründen, erscheint zwar nur unter einem einzigen Gesichtspunkt als der Vernunft zugänglich: dass es abgeschafft wird. Die conditio sine qua non dieser Abschaffung ist und bleibt allerdings, dass sie in einem der unmittelbaren Aneignung, der Gewalt und dem Vernichtungswahn genau entgegengesetzten Sinn erfolgte: in dem Sinn, in dem das Kapital – darin liegt noch immer die Pointe der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, die sogar den Fortschrittsbegriff überdauert – seine eigenen Voraussetzungen untergräbt, dem stets vermittelten Zwang gehorchend, die ›lebendige Arbeit‹, also die ›Privatarbeiten‹, soweit sie fürs Individuum immer Selbsterniedrigung zur Selbsterhaltung sind, überflüssig zu machen. Die Befreiung vom Kapitalverhältnis folgte überhaupt keinem Zwang, sondern im Gegenteil dem Urteil, dass es ihn nicht geben soll.

Gerhard Scheit, freier Autor und Essayist; Arbeiten zur Kritischen Theorie, über den Souveränitätsbegriff und die Ästhetik der Moderne; Mitherausgeber der Jean Améry Werkausgabe (2002-2008) und der Zeitschrift sans phrase (ab 2012).

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