Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Pariser Palais de Chaillot die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte«. Der Stimme enthielten sich, wenig überraschend, die damals noch vollständig totalitäre UdSSR unter Jossif Stalin, sowie Polen, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Saudi-Arabien und das rassistische Südafrika. Anlass waren die während des Zweiten Weltkrieges verübten deutschen und japanischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
In der deutschen Geschichte ist der Kampf um die Menschenrechte, der unmittelbar nach Beginn des Ersten Weltkrieges, im November 1914 mit dem »Bund Neues Vaterland« begann, ein weitgehend vergessenes Kapitel. In diesem Bund hatten sich Vorkriegs-Pazifisten wie Kurt von Tepper-Laski und Otto Lehmann-Rußbüldt aus dem Umfeld der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner – sie war kurz vor Kriegsbeginn verstorben – mit Albert Einstein (damals schon Anwärter auf den Nobelpreis für Physik) sowie mit jüngeren Sozialdemokraten wie Ernst Reuter und Ernst Meyer zusammengefunden (der eine war 1921 zeitweilig Generalsekretär und später Regierender Bürgermeister von West-Berlin, der andere wurde 1921/22 Vorsitzender der KPD). Zu ihnen stießen aber auch friedensliebende Banker sowie der einstige Anarchist Eduard Fuchs, der mit der Sexualgeschichte Europas wohlhabend gewordene »Sittenfuchs«. Lilli Jannasch, Tochter einer Französin und eines deutschen Bankdirektors – sie teilte sich mit Reuter die Rolle im Generalsekretariat – ist der wenigen Frauen, deren Namen bisher überliefert ist.
Heute wird – wenn überhaupt – allenfalls die damalige SPD-Linke – die sogenannte Spartakusgruppe um Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Karl Liebknecht – als Anti-Kriegs-Kraft erinnert. Der Bund »Neues Vaterland«, der zeitweise die Spartakusgruppe finanzierte, war in den Augen des kaiserlichen Terrorregimes jedoch keineswegs weniger gefährlich und wurde deshalb – trotz oder auch wegen seiner Verankerung im Bildungsbürgertum – 1916 verboten. Im September 1918 trat er wieder aus dem Untergrund hervor und entwickelte breite Aktivitäten.
1922 verständigte er sich – über die noch nicht zugeschütteten Schützengräben des Ersten Weltkrieges hinweg – mit der französischen Liga für Menschenrechte, nahm ihren Namen an und gründete mit belgischen und österreichischen Menschenrechtlern zusammen die »Internationale Liga für Menschenrechte«. Gemeinsam holten sie in Osteuropa Gefangene aus den Folterzellen, aus der UdSSR politische Gefangene, liefen aber auch 1929 gegen die deutsche Sozialdemokratie Sturm, die die Reichstagswahlen mit der Ablehnung eines Panzerkreuzers gewonnen hatte, in der Regierung aber genau diesen Panzerkreuzer bauen ließ.
Danach wurde ein Unvereinbarkeitsbeschluss erlassen: SPD-Genossen, die sich zur Liga für Menschenrechte bekannten, wurden automatisch aus der Partei ausgeschlossen. Zu den prominenteren Mitgliedern gehörten, neben den bereits Erwähnten der Publizist Carl von Ossietzky, der Schriftsteller Kurt Tucholsky, die drei Anwälte von Rosa Luxemburg Kurt Rosenfeld, Paul Levi und Siegfried Weinberg, der Mathematiker und Aufdecker der systematischen Fememorde, Emil Julius Gumbel und viele andere. Die meisten von ihnen gingen nach der Machtergreifung durch die Nazis in die Emigration und halfen sich bis in die 1960er-Jahre im Ausland gegenseitig. Nur Carl von Ossietzky, der 1936 Friedensnobel erhielt, blieb in Deutschland, wo er an den »Haftfolgen« verstarb.
Der Autor stellt die Geschichte der beiden deutschen Organisationen und ihre Einbindung in die »Internationale Liga für Menschenrechte« dar, bereitet diverse Dokumente ihres Wirkens auf und liefert Kurzbiographien der wichtigsten Akteure.
Jörn Schütrumpf, Dr., ist Leiter der Fokusstelle Rosa Luxemburg am Historischen Zentrum der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Zuletzt veröffentlichte er im VSA: Verlag 2021 gemeinsam mit Michael Brie den Band Rosa Luxemburg. Eine revolutionäre Marxistin an den Grenzen des Marxismus.